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Barbara Ruhland über
Heinrich Wagner

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Heinrich Wagner

 

 

 

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Heinrich Wagner – Bildermacher Barbara Ruhland -Fedra  in Venedig
(anläßlich der Ausstellung in Sarzana/Italien)

Eines steht fest: Als Gott diesen Mann erschuf, hatte er einen besonders kreativen Tag.
Die körperliche Kraft eines Kesselschmieds paart sich mit der Empfindsamkeit einer Künstlerseele. Besessenheit, der Motor seines Schaffens, wird jäh abgelöst von staunendem Betrachten und Innehalten, wenn er Schönes schaut. Mit eiserner Selbstdisziplin geht er oft schon im Morgengrauen an die Arbeit, selbst wenn der Genussmensch in der Freizeit über die Stränge geschlagen hat. Im Gespräch besticht er durch geistreiche Bonmots, die flugs zu einem zweisilbigen „nun gut“ verflachen, sollte sein Gegenüber von soviel Esprit überfordert sein. An seelischen Sonnen-Tagen betört sein Charme nicht nur Frauenherzen. Ziehen Gewitterwolken auf, macht sein Mut zur Wut sogar starke Männer sprachlos. Er selbst nennt sich in seinem Lebenslauf ganz schlicht ein Sonntagskind: Heinrich Wagner (53), Maler, Philosoph, Psychologe und ein Mann, so facettenreich wie seine Motive und so vielschichtig wie die Farblasuren auf seinen Werken. Nach zahlreichen Ausstellungen in seinem Heimatland Österreich stellt der gebürtige Innviertler sein Können jetzt erstmals im ligurischen Sarzana unter Beweis.
Warum gerade Italien? „Sono italiano in spirito“, sagt er über seine innige Beziehung zum Nachbarland und zitiert sich selbst mit einem Satz aus seiner Antrittsrede zur Vernissage am 8. April, die er gerade mit viel Liebe und einem dicken Wörterbuch vorbereitet. Seit seinem 14. Lebensjahr habe er jede Gelegenheit genutzt gen Italien zu reise, fühle sich geradezu getrieben. „Wenn die Kunst ein Zuhause hat, dann hier. Und das kontinuierlich seit 2000 Jahren.“
Begeistert erzählt er von seinen Urlauben, etwa in Venedig. Mit leiser, schmeichelnder Stimme, zeichnet er Wort für Wort ein Bild der Lagunenstadt, wie es in keinem Reiseführer zu finden ist. Nicht Markusplatz oder Rialtobrücke, nein, eine der letzten Gondelwerkstätten ist das Sujet. Man riecht förmlich das gelagerte Holz, den beißenden Lack, sieht den knorrigen alten Baumeister vor sich, wie er den ungebetenen Besucher auf ein Gläschen einlädt. Denn natürlich hat Heinrich Wagner dieses historische Juwel nur entdeckt, weil er sich weder an Zäune noch Durchgangsverbote hielt. Doch der Präsenz dieses Grenzgängers kann offenbar nicht einmal ein waschechter Venezianer widerstehen.
Magisch zieht er mit seinen eloquenten Schilderungen Menschen in seinen Bann. Da fragt man sich zwangsläufig, warum er nicht Schriftsteller wurde. Mit oft erprobtem Schwung, wirft er das ergraute Haar aus der Stirn, lehnt sich bequem auf der Kaffeehausbank zurück, zupft das blassviolette Seidenhemd zurecht. Der Blick der ausdrucksstarken blauen Augen wird verhangen. Innenschau ist angesagt. Nach kurzer Bedenkzeit – schließlich will gut überlegt sein, was man wem anvertraut – fördert Heinrich Wagner seinen Schatz zu Tage:
„Ich hatte zeitlebens ungeheuren Spaß daran, aus der Phantasie Wirklichkeit erschaffen zu können. Das kommt vielleicht daher, dass ich das Glück hatte, als Kind noch mit Schlamm spielen zu dürfen“, sagt er. „Mit dem Medium Farbe habe ich einen Weg gefunden, meine eigene Welt zu gestalten.“
Aus der Sicht der durchweg wohlmeinenden Kritiker ist diese Welt „phantastisch“ bis „surreal“ „tiefenpsychologisch“, „ironisch“, „grotesk“, „witzig“, „zornig“ - in jedem Fall „spannungsgeladen“ wie der Mann, der sie geschaffen hat. Die Bilder selbst – so die Expertenmeinung - erinnerten an klassische mittelalterliche Tafelbilder, mit viel Liebe zum Detail und unglaublicher Leuchtkraft. Die wiederum entsteht durch Heinrich Wagners bevorzugte Maltechnik: Schicht für Schicht setzt er auf der Leinwand verschiedene Farben übereinander, die zu guter Letzt genau den Farbton ergeben, den er von Anfang an im Kopf hatte. Warum er gerade diese Methode wählt? „Weil sie mich, der ich im Alltag oft sehr hektisch bin, zur Langsamkeit zwingt“, erklärt er. „Jede Schicht muss erst trocknen, ehe ich weitermachen kann. Daher dauert es meist Wochen, oft Monate, bis ein Bild fertig ist.“ Fertig heißt in diesem Fall auch: Deckungsgleich mit dem, was der Schöpfer schon seit langem vor seinem inneren Auge sah.
Ob aus Gesprächen oder beim Lesen – etwa des „Rolandliedes“ - für Heinrich Wagner verwandelt sich alles, was er hört, riecht, schmeckt oder fühlt in Bilder. „Mein Kopf ist voll davon“, erzählt er. „Gott sei Dank . Da besteht wenigstens keine Gefahr, dass mir die Themen ausgehen.“
Ein weiteres Talent des Bildermachers, wie er sich selbst nennt: Im Schauen sehen. Noch kleinste Einzelheiten nimmt er wahr und speichert sie – natürlich in Bildform – ab, um sie Jahre später aus dem Depot zu holen, als Botschaft zu formulieren und auf Leinwand festzuhalten. „Schließlich male ich nicht primär für mich“, sagt Heinrich Wagner. „Ich will etwas mitteilen.“ Etwa seine tiefsten Empfindungen: die Sehnsucht nach Liebe, Geborgenheit, Angst vor Verletzungen, Wut und Zorn über den Zustand der Welt. Das Coming- Out seines Innenlebens ist mitunter so düster , dass Galeriebesucher schon mit Beklemmungen das Weite gesucht haben. Er nimmt’s gelassen. Immerhin steht damit fest, dass seine Botschaft angekommen ist.
Und noch einen Grund gibt es, warum er, der Wortgewaltige, lieber zu Pinsel und Farbe greift denn zur Feder: „Die Bildsprache lässt mehr Deutungen zu, als jeder Satz“, erklärt er und liefert gleich das passende Beispiel: „Wenn Sie zu einer Frau sagen, ich liebe Dich, dann bleibt da nicht mehr viel Spielraum. Aber wenn Sie der Frau eine rote Rose schenken, ist es an ihr herauszufinden, was damit gemeint ist.“
Dass die Sprache von Bildern international so gültig ist wie lächelnde Lippen oder das Schwanzwedeln eines Hundes war übrigens ausschlaggebend, warum Heinrich Wagner vor 35 Jahren, gleich nach der Matura, die Kunstakademie in Wien besuchte. Dort wollte er sein Können vervollkommnen, das ihm bereits als Teenager die distanzierte Bewunderung selbst älterer Mitschüler eingebracht hatte – allen voran die der hübschen Mädchen. „Die Malerei sollte für mich die Eintrittskarte zur Freiheit sein, nachdem ich mein bürgerliches Leben hinter mir gelassen hatte. Ich hatte die Vision, ein autonomes, autarkes Leben zu führen. Ich mache meine Bilder, kann überall hinfahren, überall leben.“
Es sollte anders kommen. Um in Ruhe an seiner Dissertation zu arbeiten, ging der Weltenbummler im Geiste, der parallel zur Kunst noch Philosophie, Psychologie und Geschichte fürs Lehramt studiert hatte, zurück aufs Land. In Braunau fand er im neugegründeten Internat eine Anstellung als Schulpsychologe, wenig später seine Frau Adele, zeugte Tochter Ornella (18) und Sohn Heinrich (16) – und blieb. Und was wurde aus seiner Vision? „Nun, was ich nie wollte war, mich mit meiner Kunst anbiedern zu müssen, um Geld zu verdienen“, sagt Heinrich Wagner. „Andererseits habe ich kein hohes Leidenspotential. Ich mag es, wenn es mir gut geht. Auch finanziell.“ Und Mäzene, die - ganz in Renaissance-Manier – dem Künstler gegen Überlassung aller Werke ein sorgenfreies Leben finanzieren, haben heutzutage Seltenheitswert.
Sollte hier der Eindruck entstehen, dem Mann sei fad geworden – weit gefehlt. Heinrich Wagner ist nicht nur ein Bildermacher, sondern auch ein Bild von einem Macher. Als Obmann der Kulturinitiative in Mauerkirchen, seinem Wohnort, organisierte er 2003 das vielbeachtete Theaterspektakel. „Romeo und Julia auf dem Dorfe“, das der Salzburger Regisseur Reinhold Tritscher mit Behinderten einstudierte. Im vergangenen Dezember stand ein Literaturwochenende auf dem Programm, unter anderem mit dem Autor Friedrich Zauner, der aus seinen Werken las. Dazwischen baut er, unterstützt von seinen Kindern, in den Ferien mal eben eine Einliegerwohnung für die betagte Mutter, verlegt an einem Wochenende bei einem Freund feinsäuberlich 120 Quadratmeter Parkettboden, fährt für eine Ballettaufführung Hunderte von Kilometern. Mit der selben Besessenheit, mit der er Leinwände attackiert, stürzt er sich auch ins Leben. Kein Rasten, kein Ruhen. Schlaf scheint reine Zeitverschwendung.

Doch auch ein Kraft-Koloss wie er kennt Tiefpunkte. Vor drei Jahren fand er sich mit einemmal in einer – wenngleich bequem ausgebauten – emotionalen Sackgasse. Er, von dem Freunde liebevoll behaupten, die Enzyklopädia Britannica schlage bei Wagner nach, wenn sie nicht weiter wisse, sah sich plötzlich einem ganzen Katalog von ungelösten Lebensfragen gegenüber. Aus dieser Krise führte ein Weg: der berühmte Jakobsweg, der am Grab des Apostels Jakobus im spanischen Santiago de Compostela endet. Etwa 150 Kilometer legte Heinrich Wagner, begleitet von seinen dringlichsten Fragen in zehn Tagen auf dem Camino Inglès zurück. Wie eine Art Mantra betete er sich Schritt für Schritt vor: “Der echte Weg zur Wahrheit ist nicht die königliche Straße der Vernunft.“ Und das von einem Mann, der sich primär über den Kopf definiert. Der das „cogito, ergo sum“ zum Credo erhoben hat. Um den langen Tugend-Pfad abzukürzen: Sowohl Mühe als auch Einsicht wurden belohnt. Über die gestellten Fragen mag der Pilger nichts sagen. Das ist ihm denn doch zu intim. Aber eine der Antworten verrät er bereitwillig: Dass alles Tun für die Katz ist, wenn man Begonnenes nicht bis zum Ziel bringt.
Wie sehr diese Reise sein Leben, seine Überzeugungen, sein Innerstes verändert hat, zeigt sich in seinen jüngsten Werken: 30 Bilder, allesamt Hymnen auf die Lebensfreude, gemalt von leichter Hand und mit beschwingtem Herzen, hat er im Gepäck, wenn er im April nach Italien fährt. Farbenfrohe, fantastische Botschaften, die wohl jedem Betrachter die Facetten eines lustbetonten Lebens vermitteln – sofern ein Funke Lebenslust in ihm wohnt.
Und warum schaut er selbst kein bisschen fröhlich, wenn er von der bevorstehenden Vernissage erzählt? „Weil ich gerade an den einen oder die eine denke, die nur kommt, um durch beißende Kritik zu verletzen“, sagt er leise. „So jemand ist fast immer dabei. Aber der Umgang mit der Angst stellt für mich auch eine Herausforderung dar.“
Und was ist mit seiner felsenfesten Überzeugung, dass jeder vom Universum das bekommt, was er verdient? Überrascht schaut er von seinem Cappuccino hoch. „Ja, daran glaube ich“, sagt Heinrich Wagner. „Nicht erst seit meiner Pilgerreise.“ Nun, wenn dem so ist, sollte es ihm um den Erfolg seiner Ausstellung nicht bang sein.

Barbara Ruhland, 2006

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